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für den »Fremden« hat, ist ein Zeichen dafür, daß man im
Grunde zur Liebe nicht fähig ist. Liebe zum Menschen ist nicht,
wie häufig angenommen, eine Abstraktion, die auf die Liebe zu
einer bestimmten Person folgt, sie geht ihr vielmehr voraus.
Genetisch gesehen, wird die Liebe zum Menschen überhaupt
dadurch erworben, daß man bestimmte Individuen liebt.
Hieraus folgt, daß mein eigenes Selbst ebensosehr Objekt
meiner Liebe sein muß wie ein anderer Mensch. Die Bejahung
des eigenen Lebens, des eigenen Glücks und Wachstums und der
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eigenen Freiheit ist in der Liebesfähigkeit eines jeden
verwurzelt, das heißt in seiner Fürsorge, seiner Achtung, seinem
Verantwortungsgefühl und seiner »Erkenntnis«. Wenn ein
Mensch fähig ist, produktiv zu lieben, dann liebt er auch sich
selbst; wenn er nur andere lieben kann, dann kann er überhaupt
nicht lieben.
Wenn wir annehmen, daß die Liebe zu uns selbst und zu
anderen grundsätzlich miteinander zusammenhängen, wie ist
dann die Selbstsucht zu erklären, die doch offensichtlich jedes
echte Interesse an anderen ausschließt? Der Selbstsüchtige
interessiert sich nur für sich selbst, er will alles für sich, er hat
keine Freude am Geben, sondern nur am Nehmen. Die
Außenwelt interessiert ihn nur insofern, als er etwas für sich
herausholen kann. Die Bedürfnisse anderer interessieren ihn
nicht, und er hat keine Achtung vor ihrer Würde und Integrität.
Er kann nur sich selbst sehen; einen jeden und alles beurteilt er
nur nach dem Nutzen, den er davon hat. Er ist grundsätzlich
unfähig zu lieben. Beweist das nicht, daß das Interesse an
anderen und das Interesse an sich selbst unvereinbar sind? Das
wäre so, wenn Selbstsucht dasselbe wäre wie Selbstliebe. Aber
diese Annahme ist eben der Irrtum, der bei unserem Problem
schon zu so vielen Fehlschlüssen geführt hat. Selbstsucht und
Selbstliebe sind keineswegs identisch, sondern in Wirklichkeit
Gegensätze. Der Selbstsüchtige liebt sich selbst nicht zu sehr,
sondern zuwenig; tatsächlich haßt er sich. Dieser Mangel an
Freude über sich selbst und an liebevollem Interesse an der
eigenen Person, der nichts anderes ist als Ausdruck einer
mangelnden Produktivität, gibt ihm ein Gefühl der Leere und
Enttäuschung. Er kann deshalb nur unglücklich und eifrig darauf
bedacht sein, dem Leben die Befriedigung gewaltsam zu
entreißen, die er sich selbst verbaut hat. Er scheint zu sehr um
sich besorgt, aber in Wirklichkeit unternimmt er nur den
vergeblichen Versuch, zu vertuschen und zu kompensieren, daß
es ihm nicht gelingt, sein wahres Selbst zu lieben. Freud steht
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auf dem Standpunkt, der Selbstsüchtige sei narzißtisch und habe
seine Liebe gleichsam von anderen abgezogen und auf die
eigene Person übertragen. Es stimmt zwar, daß selbstsüchtige
Menschen unfähig sind, andere zu lieben, aber sie sind auch
nicht fähig, sich selbst zu lieben.
Die Selbstsucht ist leichter zu verstehen, wenn man sie mit
dem besitzgierigen Interesse an anderen vergleicht, wie wir es
zum Beispiel bei einer übertrieben besorgten Mutter finden.
Während sie bewußt glaubt, ihr Kind besonders zu lieben, hegt
sie in Wirklichkeit eine tief verdrängte Feindseligkeit gegen das
Objekt ihrer Fürsorge. Sie ist übertrieben besorgt, nicht weil sie
ihr Kind zu sehr liebt, sondern weil sie irgendwie kompensieren
muß, daß sie überhaupt unfähig ist zu lieben.
Diese Theorie des Wesens der Selbstsucht wird durch
psychoanalytische Erfahrungen mit der neurotischen
»Selbstlosigkeit« bestätigt, die man bei nicht wenigen Menschen
beobachten kann; diese leiden gewöhnlich an Symptomen, die
damit zusammenhängen, etwa an Depressionen, Müdigkeit, an
einer Unfähigkeit zu arbeiten, am Scheitern von Liebes-
beziehungen usw. Nicht nur wird Selbstlosigkeit nicht als ein
»Symptom« empfunden; im Gegenteil: Sie ist oft der einzige
lobenswerte Charakterzug, auf den solche Menschen stolz sind.
Der solcherart Selbstlose »will nichts für sich selbst«; er »lebt
nur für andere«; er ist stolz darauf, daß er sich selbst nicht
wichtig nimmt. Er wundert sich darüber, daß er sich trotz seiner
Selbstlosigkeit unglücklich fühlt und daß seine Beziehungen zu
denen, die ihm am nächsten stehen, unbefriedigend sind. Bei der
Analyse stellt sich dann heraus, daß seine Selbstlosigkeit sehr
wohl etwas mit seinen anderen Symptomen zu tun hat und daß
sie selbst eines dieser Symptome und sogar oft das wichtigste
ist; der Betreffende ist nämlich überhaupt in seiner Fähigkeit, zu
lieben oder sich zu freuen, gelähmt; daß er voller Feindschaft
gegen das Leben ist und daß sich hinter der Fassade seiner [ Pobierz caÅ‚ość w formacie PDF ]

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